Schilddrüse
Über kaum ein anderes Organ existiert soviel Falschinformation: Die gängige Suche im Netz („wenn der Patient recherchiert hat…“) ergibt keine wissenschaftlich korrekten Ergebnisse, höchstens 2%. Auch Medizinforen geben nur 50% korrekte Information – 50% ist so sicher wie eine Münze werfen – Kopf oder Zahl. Die meisten Informationen sind nicht frei von Interessen (über 90%). Abgesicherte Information existiert nur wenig, so ist der Weg frei für „Bauchgefühl und gefühlte Wahrheit“ (siehe auch verlässliche Patienteninformationen).
Müdigkeit, Erschöpfung, Gewichtsprobleme werden der Schilddrüse zugeordnet (Unterfunktion). Das stimmt aber nur in wenigen Fällen, diese Symptome sind bei vielen anderen Krankheiten oder Beschwerdebildern vorhanden.
Abgesichertes Wissen zur Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose):
Häufigkeit: Die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) ist selten. Sie kommt bei 0,3 – 0.5% der Menschen vor, also bei maximal 5 von 1.000 Personen!
Definition der Schilddrüsenunterfunktion: Falls TSH (Thyroidea stimulierendes Hormon) über 10mU/L liegt und FT4 (Thyroxin) erniedrigt ist, liegt Hypothyreose vor. (C) Falls FT4 normal ist, aber TSH über 10mU/L liegt, wird auch behandelt. (B)
Diagnose: Die Diagnose wird durch Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) und durch Blutuntersuchung gestellt. Die Ultraschalluntersuchung und die Szintigraphie gehören nicht in die Primärabklärung, da sie mehr schaden als nutzen (Angst und Verunsicherung durch falsch positive Befunde wie harmlose Zysten, Strahlenbelastung etc.).
Behandlung: Eine klinisch manifeste Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) mit Beschwerden wird mit Schilddrüsenhormongabe (Levothyroxin) behandelt. (A) Wissenschaftlich gibt es keine Alternative, Studien wären unethisch. Die Behandlung ist bewiesen wirksam, der Nutzen überwiegt eindeutig den Schaden.
Abgesichertes Wissen zur subklinischen Schilddrüsenunterfunktion (subklinische Hypothyreose):
Häufigkeit: Die subklinische Hypothyreose kommt bei 2-3% der Männer und bis zu 8% der Frauen im reproduktiven Alter vor.
Definition: Eine subklinische Hypothyreose ist definiert als erhöhtes Thyroidea stimulierendes Hormon (TSH 4-10 mU/l) bei normaler Konzentration der beiden Schilddrüsenhormone im Blut (Thyroxin = FT4 und Triiodothyronin = FT3) ohne Schilddrüsenerkrankung und ohne Beschwerden. Es handelt sich um keine Krankheit.
Bei manchen Laboren wird ein TSH von 3 (oder gar 2,5) bis 4 als erhöht bezeichnet oder als „Graubereich“. Damit haben noch mehr Menschen eine „subklinische Hypothyreose“. Dieser „Graubereich“ bedeutet aber nicht, dass hier bereits behandelt werden darf.
Behandlung: Eindeutige Antworten geben die Übersichten von Cochrane und von Ochs [B]. Es gibt keine Beweise (Evidenz) für eine frühe Behandlung mit Thyroxin bei allen nicht schwangeren Patienten, falls das Serum TSH über den Referenzwerten, aber weniger als 10mU/L (B) ist. Man hat keinen bewiesenen Vorteil einer frühen, als „vorbeugend“ empfundenen Behandlung. Denn der Übergang in eine Schilddrüsenunterfunktion (mit Beschwerden, siehe oben) ist selten, eine Hypothyreose kann jährlich bei 2-3% der Frauen mit subklinischer Hypothyreose eintreten, bei 4-5% der Menschen mit Autoantikörpern (siehe unten).
Der Unterschied zwischen Nichtbehandeln und Behandeln ist bei subklinischer Hypothyreose gering, denn an den bestehenden Symptomen, an der Stimmung und der Lebensqualität ändert sich durch eine Behandlung nichts (Basis 7 Studien mit weniger als 300 Teilnehmern, Laufzeit ca. 1 Jahr).
Der TSH-Wert normalisiert sich in 3 Studien ohne Behandlung in 25% bis 40% der Fälle.
Falls erhöhtes TSH gefunden wird und FT4 normal ist, sollte in 3-6 Monaten eine Kontrolle erfolgen plus die Bestimmung von FT4. (C) Das spart unnötige Behandlungen. Ein Therapieversuch kann nach den Vorlieben des Patienten gerechtfertigt sein. Nach 3 Monaten sollen die Symptome kontrolliert werden.
Watchful waiting (Zuwarten und Kontrollieren) ist die beste Strategie bei subklinischer Hypothyreose (TSH zwischen 4 und 10), so die USPSTF Empfehlung seit 2014. Denn keine Studie fand durch Behandlung einen Vorteil bei Lebensqualität, Cognition, Blutdruck oder BMI (Gewicht).
Was empfiehlt die USPSTF seit 2015, was Patienten und Ärzte tun sollen?
Bevor man die Schilddrüse bei nicht schwangeren Menschen ohne Krankheitszeichen (asymptomatisch) untersucht, muss man wissen, dass es völlig unklar ist, ob der Patient von dieser Untersuchung einen Nutzen (oder Schaden) hat. Die Nebenwirkungen der als „vorbeugend“ bezeichneten „ (Über) Behandlung“ mit Schilddrüsenhormon müssen dem Patienten dargelegt werden.
Nachteile einer Behandlung: Bei frühzeitiger Behandlung der subklinischen Hypothyreose ist der Gesundheitsnachteil bekannt: es werden einerseits Patienten überbehandelt und bei anderen werden die wahren Ursachen ihrer Beschwerden nicht erkannt (Diagnoseverschleppung).
In 2-5 % der Fälle wird durch Schilddrüsenhormongabe das Bild der „Überfunktion“ erzeugt. Bei Menschen über 50 kommen dadurch Nebenwirkungen am Herz (schneller Puls bis zu Vorhofflimmern) häufiger vor, wie auch ein gesteigerter Knochenumbau bei Frauen nach den Wechseljahren (Osteoporose).
Zur Häufigkeit dieser Nebenwirkungen existieren keine exakten Daten. Wer Schilddrüsenhormon einnimmt, hat ein doppelt so hohes Risiko für Knochenbrüche.
Ca. 40% der Diagnosen sind nicht richtig: das führt dazu, dass Patienten überbehandelt werden und die wahren Ursachen ihrer Beschwerden nicht erkannt werden. Allahabadia A et al: „An incorrect diagnosis of hypothyroidism could expose some patients to the harmful effects of excess thyroid hormones and other serious conditions may go undiagnosed. In other patients, adequate replacement with levothyroxine does not resolve symptoms, which are attributed to hypothyroidism rather than other conditions that may coexist, such as depression.“
Die neuen Studien sehen keinen Sinn in einer frühzeitigen (als „Vorbeugung“ angebotenen) Behandlung.
Fazit:
Hashimoto Thyreoiditis
Eine Autoimmunthyreoiditis kommt bei 5-15% der Frauen im reproduktiven Alter vor. Eine Hypothyreose kann jährlich bei 4-5% der Menschen mit Autoantikörpern eintreten. Sie wird behandelt wie die Hypothyreose und die subklinische Hypothyreose. Bei normalen Schilddrüsenwerten gibt eine Behandlung keinen Sinn.
Kinderwunsch und in der Schwangerschaft
Bei „echter“ Schilddrüsenunterfunktion, definiert als TSH (Thyroidea stimulierendes Hormon) über 10mU/L und FT4 (Thyroxin) erniedrigt, wird behandelt. Falls FT4 normal ist, aber TSH über 10mU/L liegt, wird auch behandelt.
Das Cochrane Review aus 2010 kommt zu dem Resultat, dass eine Hypothyreose in der Schwangerschaft behandelt wird (alte Evidenz aus Beobachtungsstudien).
Empfehlung (A)
Die Testung Schwangerer sollte auf Risikopersonen beschränkt und Schilddrüsenhormon (Thyroxin) sollte nur Frauen mit bewiesener Unterfunktion gegeben werden.
Schilddrüse 2015, Cochrane: Auf der Basis von zwei verlässlichen Studien (RCTs mit 26.408 Frauen) erhalten wir endlich abgesichertes Wissen.
Dieses Wissen lautet:
- Eine Schilddrüsenuntersuchung (Screening) vor einer Schwangerschaft oder in der Schwangerschaft bringt keinen Nutzen für Fehlgeburten, Frühgeburt oder Schwangerschaftskomplikationen.(A)
3 bis 100 mal soviel Frauen erhalten Thyroxin , ohne belegten Effekt, auch nicht auf die Entwicklung der Intelligenz des Kindes bis zu 5 Jahren (Casey). - 10% dieser behandelten Frauen haben eine klinisch merkbare Überfunktion, die zu einem Absetzen der Behandlung zwingt. (A)
Wertung
Bei frühzeitiger Behandlung der subklinischen Hypothyreose ist der Gesundheitsnachteil bekannt: es werden einerseits Patienten überbehandelt und bei anderen werden die wahren Ursachen ihrer Beschwerden nicht erkannt (Diagnoseverschleppung).
Die Story von Cognitionsdefiziten bei TSH über 1, 2,5 oder 4 wird hartnäckig erzählt, zur Angstmache ohne wissenschaftliche Basis. Die Datenquelle sind kindliche Nachuntersuchungen mit 5 Jahren aus 2 großen randomisierten Studien (fast 20.000 Schwangere). Davon hatten über 900 Frauen eine subklinische Schilddrüsenunterfunktion (TSH > 4). Sie erhielten entweder Schilddrüsentabletten oder Placebo (kein Wirkstoff) ohne Unterschied in Intelligenz oder Schwangerschaftskomplikationen. Frauen, die in der Schwangerschaft Schilddrüsenhormone (Thyroxin, Euthyrox etc.) einnehmen, haben mehr Schwangerschaftskomplikationen und etwas mehr kindliche Fehlbildungen, wobei die Ursache unklar bleibt. Alle Schwangeren in Schweden von 1995 bis 2004 (n=848.468) und geborenen Kinder (n=861.989) sind erfasst. 9.866 Schwangere (n=10,055 Kinder) haben Schilddrüsenhormon in der Schwangerschaft genommen. Frauen mit Schilddrüsenhormoneinnahme hatten etwas mehr Präeklampsie, Diabetes, Kaiserschnitte und Geburtseinleitungen. Die Frühgeburtlichkeit vor der 34. Schwangerschaftswoche war etwas erhöht (OR 1.13, 95% CI 1.03-1.25). Eine starke Schilddrüsenüberfunktion hatten 8 Kinder, erwartet worden wären 0,2. Eine geringe, aber signifikante Zunahme der angeborenen kindlichen Fehlbildungen fiel auf (OR =1,14, 95% CI 1,05-1,26). Das bedeutet, 4-7% ist das generelle Risiko für kindliche Fehlbildungen, mit Schilddrüsenhormoneinnahme kann es maximal auf 9% ansteigen. Empfehlung zur Jodeinnahme in der Schwangerschaft und der Stillzeit Es gibt keine stabilen Beweise für den Nutzen. Alle Frauen sollten vor der Schwangerschaft 400 yg Folsäure einnehmen und 150 – 250 yg Jod. Für Jodtabletten in der Stillzeit ist der Effekt schwach, in Mangelgebieten mag es sinnvoll sein. Copyright Rainer Wiedemann und Petra-Ilona Wiedemann für das C.L.I. Weitere Informationen zu unseren Methoden der Literatursuche. Weitere Informationen zur Evidenzbasierten Medizin erhalten Sie in unserem Buch: Wiedemann R et al. Krankmacher Lebensstil. 2005. conkom Verlag, ISBN 3-00-017436-2 Wenn Sie noch mehr wissen wollen, können Sie sich kostenfrei zum Service „Topwissen“ anmelden.
Es ist jetzt sicher widerlegt, (A) dass ein TSH Wert (Thyroidea stimulierendes Hormon) unter 2,5 mU/l oder gar unter 1 für das Wohl des Kindes und der Mutter anzustreben ist.
Die Fachgesellschaften und Labore haben ihre Empfehlungen korrigiert. TSH von 4 ist die Grenze, wo die subklinische Hypothyreose beginnen kann.
„Treatment of maternal hypothyroidism, hypothyroxinaemia has no cognitive effect in offspring,“ so die Autoren des bislang umfangreichsten Datenmaterials (Casey).
Kein positiver Effekt der Behandlung von subklinischer Hypothyreose (TSH über 4 mU/l) in der Schwangerschaft auf Intelligenz der Kinder mit 5 Jahren, keiner auf irgendwelche Schwangerschaftskomplikationen (von Abort bis Schwangerschaftsvergiftung). Also ist auch die Schilddrüsenuntersuchung in der Schwangerschaft nicht nützlich, sondern potentiell schädlich (Überfunktion…).
Empfehlungen bei Kinderwunsch und für Schwangere
Frauen mit Antikörpern („Hashimoto“) profitieren nicht von Jod, also nehmen sie vor der Schwangerschaft nur Folsäure.
Wegen der Schilddrüse des Kindes nehmen sie in der Schwangerschaft zusätzlich Jod. Das ist eine schwache Grad D Empfehlung der WHO (Weltgesundheitsorganisation). Ausnahmen gibt es (z. B. Frauen mit Schilddrüsenüberfunktion).
Ein wissenschaftlich begründetes „muss“ gibt es nicht, der Nutzen ist, wenn überhaupt, gering, Schaden denkbar… 11 gute Studien, 2700 Frauen: Im Nichtmangelgebiet ist einfach kein Effekt nachweisbar.